Es
war einmal ein großer und gewaltiger König, der herrschte über
viele Länder. Alle Schätze der Erde gehörten ihm und er
trieb sein tägliches Spiel mit den Edelsteinen von Ophir (gemeint
ist das sagenhafte Goldland König Salomons) und den Rosen von Damaskus.
Aber eines fehlte ihm bei all seinem großen Reichtum: das waren die
Schlüssel zu den Toren des Himmels.
Er
hatte tausend Sendboten ausgesandt, die Schlüssel des Himmels zu suchen,
aber keiner konnte sie ihm bringen. Er hatte viele weise Männer gefragt,
die an seinen Hof kamen, wo die Schlüssel des Himmels zu finden wären,
aber sie hatten keine Antwort gewusst. |
Nur
einer, ein Mann aus Indien mit seltsamen Augen, der hatte die Edelsteine
von Ophir und die Rosen von Damaskus, mit denen der König spielte,
lächelnd bei Seite gelegt und ihm gesagt: Alle Schätze der Erde
könne man geschenkt erhalten, aber die Schlüssel des Himmels
müsse ein jeder selber suchen.
Da
beschloss der König, die Himmelsschlüssel zu finden, koste was
es wolle. Nun war es in einer Zeit, zu der die Menschen noch sahen, wo
der Himmel auf die Erde herab reichte und alle noch den hohen Berg kannten,
auf dessen Gipfel die Tore des Himmels gebaut sind. Der König ließ
sein Hofgesinde zu Hause und stieg den steilen Berg hinauf, bis er an die
Tore des Himmels gekommen war. Vor den Toren, um deren Zinnen das Sonnenlicht
flutete, stand der Engel Gabriel, der Hüter von Gottes ewigem Garten.
"Glorwürdiger",
sagte der König, "ich habe alle Schätze der Erde, viele Länder
sind mir untertan und ich spiele mit den Edelsteinen von Ophir und den
Rosen von Damaskus. Aber ich habe keine Ruhe, ehe ich nicht auch die Schlüssel
zum Himmel habe. Denn wie sollten sich sonst einmal seine goldenen Tore
für mich öffnen?" "Das ist richtig", sagte der Engel Gabriel,
"ohne die Himmelsschlüssel kannst du die Tore des Himmels nicht öffnen
und wenn du auch alle Künste und Schätze der Erde hättest.
Aber die Himmelsschlüssel sind ja so leicht zu finden. Sie blühen
in lauter kleinen Blumen, wenn es Frühling ist, auf der Erde und in
den Seelen aller Geschöpfe."
"Wie?",
fragte der König erstaunt, "Brauche ich weiter nichts zu tun, als
jene kleine Blume zu pflücken? Die Wiesen und Wälder stehen ja
voll davon und man tritt darauf auf all seinen Wegen." "Es ist wahr, dass
die Menschen die vielen Himmelsschlüssel mit Füßen treten",
sagte der Engel, "aber so leicht wie du es dir denkst, ist es doch nicht
gemeint. Es müssen drei Himmelsschlüssel sein, die dir die Toren
des Himmels aufschließen. Und alle drei sind nur dann richtige Himmelsschlüssel,
wenn sie zu deinen Füßen und für dich aufgeblüht sind.
Die vielen tausend anderen Himmelsschlüssel, die auf der Erde stehen,
sollen die Menschen nur daran erinnern, die richtigen Himmelsschlüssel
zum Aufblühen zu bringen und das sind die Blumen, die alle Menschen
mit Füßen treten."
In
dem Augenblick kam ein Kind vor die Tore des Himmels, das hielt drei kleine
Himmelsschlüssel in der Hand und die Blumen blühten und leuchteten
in der Hand des Kindes. Als nun das Kind die Tore des Himmels mit den drei
Himmelsschlüsseln berührte, da öffneten sich die Tore weit
vor ihm und der Engel Gabriel führte es in den Himmel hinein. Die
Tore aber schlossen sich wieder und der König blieb allein vor den
geschlossenen Toren stehen. Da ging er nachdenklich den Berg hinunter auf
die Erde zurück und überall standen Wiesen und Wälder voll
der schönsten Himmelsschlüssel. Der König hütete sich
wohl sie zu treten, aber keine der Blumen blühte zu seinen Füßen
auf.
"Sollte
ich die richtigen Himmelsschlüssel nicht finden", fragte sich der
König, "wo ein Kind sie gefunden hat?" Aber er fand sie nicht und
es vergingen viele Jahre.
Da
ritt er eines Tages mit seinem Hofgesinde aus und ein schmutziges verwahrlostes
Mädchen, das weder Vater noch Mutter hatte, bettelte ihn an, als er
mit seinem glänzenden Gefolge an ihm vorüber kam. "Mag es weiter
betteln", sagten die Höflinge und drängten das Kind bei Seite.
Der
König aber hatte in all den Jahren, seit er von dem steilen Berg gekommen
war, viel über die Himmelsschlüssel nachgedacht und trat sie
nicht mehr mit Füßen. Er nahm das schmutzige Bettelkind, setzte
es zu sich aufs Pferd und brachte es nach Hause. Dort ließ er es
speisen und kleiden, er pflegte und schmückte es selbst und setzte
ihm eine Krone auf den Kopf.
Da
blühte zu seinen Füßen ein kleiner goldener Himmelsschlüssel
auf. Der König aber ließ die Armen und die Kinder in seinem
Reich als seine Brüder erklären.
Wieder
vergingen Jahre und der König ritt in den Wald mit seinem Hofgesinde.
Da erblickte er einen kranken Wolf, der litt und sich nicht regen und helfen
konnte. "Lass ihn verenden", sagten die Höflinge und stellten sich
zwischen ihn und das elende Tier.
Der
König aber nahm den kranken Wolf und trug ihn auf seinen Armen in
seinen Palast. Er pflegte ihn selbst gesund und der Wolf wich nie mehr
von ihm. Da blühte ein zweiter goldener Himmelsschlüssel zu des
Königs Füßen auf. Der König aber ließ von nun
an alle Tiere in seinem Reich als seine Brüder erklären.
Wieder
vergingen Jahre aber nun schon nicht mehr eine so lange Zeit, wie sie vor
dem ersten Himmelsschlüssel vergangen war, da ging der König
in seinem Garten umher und freute sich an alle den seltenen Blumen, die,
kunstverständig gehütet und gepflegt, seinen Garten zu einem
der herrlichsten in allen Ländern machten.
Da
erblickte der König eine kleine unschöne Pflanze am Wegrand,
die am Verdursten war und die verstaubten Blätter in der sengenden
Sonnenglut senkte. "Ich will ihr Wasser bringen", sagte der König.
Doch der Gärtner wehrte es ihm. "Es ist Unkraut", sagte er, "und ich
will es ausreißen und verbrennen. Es passt nicht in den königlichen
Garten zu all den herrlichen Blumen."
Der
König aber nahm seinen goldenen Helm, füllte ihn mit Wasser und
brachte es der Pflanze und die Pflanze trank und begann wieder zu atmen
und zu leben. Da blühte der dritte Himmelsschlüssel zu des Königs
Füßen auf und das Bettelmädchen mit der Krone und der Wolf
standen dabei. Der König aber sah auf dem steilen Berge die Tore des
Himmels weit, weit geöffnet und im Sonnenlicht, das um die Zinnen
flutete, sah er den Engel Gabriel und jenes Kind, das damals schon den
Weg zum Himmel gefunden hatte.
Die
drei Himmelsschlüssel blühen heute noch und sie leuchten heute
noch heller und schöner als alle Edelsteine von Ophir und alle Rosen
von Damaskus.
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